Die rechtliche Auslegung der Arbeitszeit in Spanien verdient eine Kommentierung nach drei jüngst ergangenen Entscheidungen: hierarchisch geordnet handelt es sich um das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21. Februar 2018 (im Falle Matzak), um das Urteil des Tribunal Supremo, Sozialsenat, vom 11. Oktober 2017 und um das Urteil der Audiencia Nacional, Sozialsenat, vom 27. Oktober 2017. Es ist überdies bemerkenswert, daß die letzten beiden Entscheidungen dieselben Gesellschaften betreffen – Tabacalera und Altadis.
Was haben diese Urteile gemeinsam?
Alle drei Urteile beschäftigen sich mit der Auslegung der Arbeitszeit in Spanien, also mit ihrer rechtlichen Definition und praktischen Anwendung in konkreten Fällen.
Im Falle des Urteils des EuGH wird der Frage nachgegangen, ob der Bereitschaftsdienst unter bestimmten Voraussetzungen als Arbeitszeit zählt oder nicht; im Falle der Entscheidung des Tribunal Supremo, ob Anreisen zu kommerziellen Events an Sonntagen als Arbeitszeit zählen, und in dem der Audiencia Nacional, ob bestimmte Aktivitäten wie ein Fußballturnier oder die Präsentation einer Zeitschrift mit Kunden ebenfalls als Arbeitszeit aufzufassen sind.
In allen drei Entscheidungen haben die Gerichte zugunsten der Annahme entschieden, daß die Stunden, die dem Bereitschaftsdienst, den Fahrten an Sonntagen und dem Fußballspiel mit Kunden gewidmet wurden, als Arbeitszeit zu behandeln sind.
Das hat weitreichende Folgen für den Arbeitgeber. Die offensichtlichste ist die Pflicht, diese Stunden zu vergüten, einen kompensatorischen Erholungsurlaub zu gewähren und den Beginn des nächsten Arbeitstages auf frühestens zwölf Stunden nach Ende der betroffenen Aktivität zu legen.
Ausgangspunkt ist die Gesetzgebung, die die Arbeitszeit in Spanien regelt. Der Artikel 34.5 des Arbeitnehmerstatuts berechnet die Arbeitszeit dergestalt, daß der Arbeitnehmer zu Beginn und zum Ende seines Arbeitstages an seinem Arbeitsplatze angetroffen werden muß. Die Unionsgesetzgebung rezipiert dies in Artikel 2 der Richtlinie 2003/88 mit Blick auf bestimmte Aspekte der Arbeitszeiteinteilung, wobei die Arbeitszeit definiert ist als die Zeit, die der Arbeitnehmer an seinem Arbeitsplatze verbringt, seinem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seiner Tätigkeit nachgeht. Außerdem legt sie fest, daß, um seinem Arbeitgeber “zur Verfügung zu stehen”, der Arbeitnehmer sich in einer Situation befinden muß, in der er rechtlich verpflichtet ist, den Anweisungen seines Arbeitgebers Folge zu leisten und seine Aufgaben auf dessen Weisung hin zu erfüllen.
Was läßt sich diesen drei Urteilen nun entnehmen?
Bei ihrer Analyse fallen fünf Punkte auf:
- Erstens, daß die nationale Gesetzgebung der EU-Mitgliedstaaten nicht von der Definition der Arbeitszeit aus Artikel 2 der Richtlinie 2003/88. So könnte etwa das spanische Recht nicht ein strengeres Konzept keine strengere Definition als die der Richtlinie vorsehen. Hingegen ist es möglich, hinsichtlich der Arbeits- und Urlaubszeiten zugunsten des Arbeitnehmers von der Richtlinie abzuweichen.
- Zweitens, daß das spanische Recht vorsehen kann, daß die Vergütung eines Arbeitnehmers für seine Arbeitszeit nicht dieselbe sein muß wie während seines Urlaubs, bis hin zu dem Punkte, daß während dieser letzten Zeit überhaupt keine Vergütung gezahlt werden muß.
- Drittens, daß sich die Definitionen von Arbeits- und Freizeit gegenseitig ausschließen. Folglich muß die Zeit, in der sich ein Arbeitnehmer im Bereitschaftsdienst befindet, entweder als Arbeits- oder als Freizeit bewertet werden. Zur Einordnung als Arbeitszeit ist weder ausschlaggebend, ob die Arbeit anspruchsvoll ist noch ob der angestellte Arbeitnehmer besonders rentabel arbeitet.
Folglich ist unter der augenblicklichen Rechtslage davon auszugehen, daß, wenn es sich um eine Bereitschaft mit körperlicher Anwesenheit handelt, sei es am Arbeitsplatze oder an einem anderen vom Arbeitgeber bestimmten Orte, um von dort auf Abruf die notwendigen Dienstleistungen erbringen zu können, es insofern um Arbeitszeit geht. Umgekehrt sind solche Bereitschaften, die nur die Erreichbarkeit, nicht aber die Anwesenheit vorschreiben, keine Arbeitszeit. Das liegt daran, daß unter diesen Umständen der Arbeitnehmer seine Zeit mit weniger Einschränkungen einteilen und sich persönlichen Interessen widmen kann. Hier zählt als Arbeitszeit nur diejenige Zeit, die er tatsächlich Arbeitsleistungen erbringt.
Im Falle Matzak kann aus dem Urteil des EuGH geschlußfolgert werden, daß die Auflagen, mit denen der Arbeitgeber die Bereitschaft versehen hat (verpflichtende Anwesenheit am Wohnorte und Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes innerhalb einer Frist von acht Minuten), diese zu Arbeitszeit werden lassen.
- Viertens, daß Vertriebsangestellte, die an Sonntagen zu vom Arbeitgeber organisierten Messen, regelmäßigen Teamkonferenzen oder Fortbildungen anreisen müssen, Anspruch darauf haben, daß ihnen die Fahrtzeiten als Arbeitszeiten anerkannt werden. Aus dem vom Tribunal Supremo entschiedenen Fall läßt sich überdies folgern, daß auch die Überstunden, die die Händler über ihr normales Pensum auf solchen Messen leisten, als Arbeitszeit anzuerkennen ist.
- Fünftens, daß Stunden, die von Büro- oder Vertriebspersonal auf Präsentationen oder sportliche Wettkämpfe (Fußball, Golf) – und sei es auch freiwillig – aufgewendet werden, jedenfalls dann als Arbeitszeit anzusehen sind, wenn sie vom Arbeitgeber organisiert worden sind, um Kunden einzuladen. Außerdem hat der Arbeitgeber darauf zu achten, daß der nachfolgende Arbeitstag frühestens zwölf Stunden nach dem Abschluß dieser Aktivitäten beginnen darf.
Als Ergebnis läßt sich festhalten, daß zur Definition der Arbeitszeit in Spanien das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Spanien verfügt über umfassende Literatur und Rechtsprechung, die diverse Aktivitäten von Arbeitnehmern als Arbeitszeit einordnen. Dies zeigen diese letzten drei Entscheidungen. Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Wirklichkeit, tausendmal schneller als die Gesetzgebung, wird uns auf diesem Gebiet auch noch zukünftige Überraschungen bereithalten.
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