PDF Zur Publikation in Anwalt-Report
Der 29jährige Rechtsanwalt Karl H. Lincke lebt seit einem Jahr in der spanischen Hauptstadt Madrid und arbeitet dort in einer angesehenen internationalen Wirtschaftskanzlei.
Neben Jura hat er auch Geschichte und Politikwissenschaft in Bonn und Rom studiert. Als Diplomatensohn verbrachte er viele Jahre in Indien, England, Chile, Venezuela und Spanien. Direkt nach dem Referendariat zog es ihn als Anwalt wieder ins Ausland, in die europäische Metropole Madrid – die mit knapp 3,2 Millionen Einwohnern größte Stadt Spaniens.
Anwalts-Report: Herr Lincke wie lebt ein junger deutscher Anwalt in Spanien?
RA Lincke: Gut! Ich bin immer wieder neu überrascht, wie viel deutsche Firmen und Privatpersonen sich in Spanien niedergelassen haben. Der Markt für deutsche Anwälte ist entsprechend groß. Die Einstiegsgehälter für Junganwälte liegen jedoch – genauso wie alle spanischen Einkommen – unter dem europäischen Durchschnitt. Da die Lebenserhaltungskosten aber auch relativ niedrig sind, lässt sich dies verschmerzen. Außerdem haben die Deutschen in Spanien einen guten Ruf. Sie werden nach wie vor für fleißig, pragmatisch und seriös gehalten. Dies kommt einem als Anwalt zu Gute.
Warum sind Sie nach dem zweiten juristischen Staatsexamen von Bonn nach Madrid gegangen?
Gründe gab es verschiedene: Nach dem Studium und der Referendarszeit in Bonn hielt mich nicht mehr viel in dieser Stadt. Meine eigene Familie und meine Freunde leben alle verstreut in Europa. Ich hatte zusammen mit meiner Frau schon länger darüber nachgedacht, unser Glück in Madrid zu versuchen. Da wir beide spanisch sprechen und uns Lateinamerika ein wenig weit weg erschien, lag diese Option auf der Hand. Die Gründe waren aber nicht nur privater Natur. Aufgrund der immer stärker anwachsenden Zahl von Anwälten, ist es nicht einfach, in Deutschland einen guten Einstiegsjob zu finden. Nebenqualifikationen wie Fremdsprachen, Auslandsaufenthalte, Veröffentlichungen und andere Studiengänge interessieren deutsche Kanzleien nur bedingt. Dies liegt an der oft mangelnden internationalen Ausrichtung der meisten Kanzleien. Natürlich besteht in vielen Fällen aufgrund der rein nationalen Rechtsanwendung auch kein Handlungsbedarf. Durch den Druck der großen, meist angelsächsischen Wirtschaftskanzleien, die zunehmend auf den deutschen Markt drängen, scheint sich dies jedoch langsam zu ändern.
Wie erwirbt man als Deutscher den spanischen Rechtsanwaltstitel abogado?
Trotz Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU ist dies nicht so einfach. Man darf zwar als europäischer Anwalt in Spanien arbeiten; jedoch ist es nicht gestattet, sich als abogado zu bezeichnen und vor Gericht aufzutreten. Es verbleibt somit allein die beratende Tätigkeit. Um neben dem Rechtsanwaltstitel auch den abogado -Titel führen zu dürfen, bedarf es eines langwierigen Anerkennungsverfahrens, welches mit einer Eignungsprüfung abgeschlossen wird. Diese besteht – genauso wie das deutsche Staatsexamen – aus einem mündlichen und einem schriftlichen Teil. Geprüft werden neben den Sprachkenntnissen vor allem die drei großen Rechtsgebiete: Zivil-, Straf- und öffentliches Recht. Bedauerlicherweise werden die Anforderungen von Jahr zu Jahr größer. Die Durchfallquote für das Jahr 1999 betrug 50%.
Sie arbeiten in einer international bekannten Wirtschaftskanzlei. Wie sind Sie mit dieser Kanzlei in Kontakt gekommen?
Ich habe während meines Referendariats meine Wahlstation in einer großen deutsch-spanischen Kanzlei in Madrid verbracht. Dort habe ich auch meinen jetzigen Arbeitgeber kennen gelernt. Da er gerade im Begriff war, nach einer gescheiterten Fusion erneut eine eigene Kanzlei aufzubauen und wir uns darüber hinaus wohl gegenseitig ganz sympathisch fanden, war ich der richtige Mann, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort.
In welchem Bereich sind Sie hauptsächlich tätig?
Da unsere Kanzlei viele deutsche und österreichische Firmen als Mandanten hat, liegt meine Haupttätigkeit natürlich auf dem Handels-, Gesellschafts-, und Insolvenzrecht. Daneben wird jedoch das Zivilrecht in seiner ganzen Breite abgedeckt. Hervorzuheben ist in meinem Fall besonders das Familien- und Erbrecht. Viel Freude bei meiner Arbeit bereiten mir vor allem die internationalen Schiedsverfahren. Sie sind für mich ein ausgesprochener juristischer Leckerbissen.
Gibt es gravierende Unterschiede zwischen dem spanischen und deutschen Recht?
Das spanische Zivilrecht ist im Gegensatz zum deutschen Recht stark vom Code Civil Napoleons geprägt. Daher gibt es zahlreiche Unterschiede. Es gibt zum Beispiel im spanischen Sachenrecht kein Abstraktionsprinzip – was viele Jura-Studenten freuen wird. Gerichtsverfahren dauern in Spanien noch länger als in Deutschland und sind noch stärker formalisiert. In der Regel werden Zivilprozesse rein schriftlich durchgeführt. Mündliche Verhandlungen und Zeugenvernehmungen durch Richter sind die Ausnahmen. Daneben sind vor allem die Zustellungsvorschriften bei Gerichtsverfahren wesentlich rigoroser als in Deutschland. Zudem gibt es in Spanien, die in Deutschland unbekannte Einrichtung des Procurador: eine Art Bindeperson zwischen Anwalt und Gericht, der Schriftsätze überbringt und das prozessuale Verfahren begleitet. Obwohl es keine Gerichtskosten gibt, sind die Prozesse in Spanien für den Rechtssuchenden, falls er unterliegen sollte, in der Regel teuerer als in Deutschland.
Welche Stellung haben Anwälte in Spanien?
Die Zahl der Anwälte in Spanien ist noch höher als in Deutschland. Rein statistisch hat die iberische Halbinsel im europäischen Vergleich die größte Anwaltsdichte. Dies liegt unter anderem daran, dass unmittelbar nach erfolgreichem Studium jeder Rechtsanwalt werden kann. Staatsexamen bzw. Referendariat sind nicht erforderlich. Auch wenn die Spanier grundsätzlich Achtung vor Akademikern haben, gehören Anwälte nicht unbedingt zur populärsten Berufsgruppe. Bei Umfragen schneiden sie in der Regel nur wenig besser ab als Politiker. Es ist jedoch gerade in letzter Zeit eine Verbesserung des Images zu verspüren. Dies liegt nicht zuletzt an den beliebten Filmen und Büchern von John Grisham.
Wie sehen Sie Ihre Zukunft als Anwalt? Wo sehen Sie sich beispielsweise in 10 Jahren?
Am Anfang meines Studiums habe ich mir nicht vorstellen können, später einmal als Rechtsanwalt zu arbeiten. Inzwischen fühle ich mich sehr wohl in meiner Haut. Es ist ein schönes Gefühl, wenn es einem gelingt, hilfesuchenden Menschen zu helfen. Wo ich in zehn Jahren stehe? Wie jeder Anwalt strebe ich die Partnerschaft an. Falls ich sie bis dahin nicht erreicht haben sollte, dürfte ich etwas falsch gemacht haben. Wenn sich alles so weiterentwickelt wie bisher, werde ich auch Spanien weiterhin die Treue halten und keinen Berufswechsel zurück nach Deutschland vornehmen. Aber zehn Jahre ist eine lange Zeit. Da kann viel passieren.
Was verbinden Sie mit Spanien und besonders mit der Stadt Madrid?
Spanien ist für mich zur Zeit ein besonders aufregendes und reizvolles Land. Die Wirtschaft brummt und boomt. Eine Reise wert sind dabei nicht nur die in Deutschland wohlbekannten Küsten und Inseln, sondern auch zahlreiche Ziele im Landesinneren. Vom maurisch geprägten Süden bis zum fast mitteleuropäischen Norden ist für jeden Geschmack etwas dabei. Auch von der iberischen Küche war ich angenehm überrascht. Ich finde, sie kann mit der französischen und der italienischen Küche durchaus mithalten.
Viele Spanienklischees bewahrheiten sich. Die Sonne scheint so oft, dass sie einem hin und wieder schon auf die Nerven fällt. Die Spanier sind sehr angenehme und fröhlich Zeitgenossen, die einem das Zusammenleben sehr einfach machen. Madrid ist eine quirlige europäische Großstadt, mit allen Vor- und Nachteilen, die Großstädte so mit sich bringen. Die Madrider sind darüber hinaus sehr stolz auf ihre Stadt und hegen und pflegen sie, wie ihre eigenen vier Wände. Wer das Nachtleben liebt, kommt hier besonders auf seine Kosten. Ich glaube, es gibt keine zweite Stadt, in der man noch um fünf Uhr morgens im Stau stehen kann. Was die Lebensqualität angeht, braucht sich Madrid hinter keiner anderen europäischen Metropole zu verstecken. Auch wenn ich mich ein wenig wie das spanische Fremdenverkehrsamt anhöre – ich habe fast nur gute Erfahrungen gemacht.
Susanne Kinkel
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