Am 17. September 2010 verabschiedete das spanische Parlament das Gesetz 35/2010, welches sich auf die Eilmaßnahmen der Arbeitsmarktreform bezieht und sich bereits seit drei Jahren in Ausarbeitung befand, da sich die Tarifpartner, Unternehmen und Gewerkschaften bisher nicht über den Inhalt einigen konnten. Diese Reform dient vornehmlich der Bekämpfung der Wirtschaftskrise (Gesetz 35/2010 (veröffentlich im BOE – Boletín Oficial del Estado; offizielles Amtsblatt der spanischen Verwaltung – am 18. September 2010 und in Kraft getreten am 19. September 2010); Königliches Dekret 10/2010 vom 16. Juni 2010 (in Kraft getreten am 18. Juni 2010).
Es folgt eine Analyse der wichtigsten Änderungen des Arbeitsrechtes, die durch diese endgültige Reform eingeführt wurden.
Vertrag zur Förderung der Beschäftigung
Der sogenannte Vertrag zur Förderung der Beschäftigung war bisher nur auf Personen im Alter zwischen 16 und 30 sowie über 45 Jahren, auf Behinderte und auf Personen, die mehr als sechs Monate arbeitslos waren, anwendbar. Durch die Reform wurde der Anwendungsbereich dieses Vertrages auf folgende Gruppen erweitert:
- Arbeitslose im Alter zwischen 31 und 44 Jahren, deren unbefristetes Arbeitsverhältnis in den letzten zwei Jahren gekündigt wurde oder die in diesem Zeitraum lediglich befristete Verträge hatten
- Frauen in einem Zeitraum von zwei Jahren nach einer Geburt oder Adoption
- Frauen, die auf dem Arbeitsmarkt nach einer fünfjährigen Abwesenheit wieder tätig sind
- Frauen, die häuslicher Gewalt oder Menschenhandel zum Opfer gefallen sind
- Arbeitslose, die mehr als einen Monat ununterbrochen als arbeitssuchend gemeldet sind
Daneben besteht die Möglichkeit, zur Arbeitsförderung befristete Arbeitsverträge in unbefristete Verträge umzuwandeln. Diesbezüglich ist vorgesehen, dass die befristeten Verträge, die vor dem 18. Juni 2010 geschlossen wurden, bis zum 31. Dezember 2010 in diesen Vertragstyp umgewandelt werden können. Die befristeten Verträge, die nach dem 18. Juni 2010 geschlossen wurden, können bis zum 31. Dezember 2011 umgewandelt werden. In beiden Fällen ist die Umwandlung nur möglich, wenn das befristete Vertragsverhältnis nicht mehr als sechs Monate bestand. Hiervon ausgenommen sind Ausbildungsverträge.
Das Ziel des sogenannten Vertrages zur Förderung der Beschäftigung ist die Förderung unbefristeter Arbeitsverhältnisse bei gleichzeitiger Reduzierung der Kosten einer Entlassung. Die Entschädigung, die im Fall einer unbegründeten Kündigung aus objektiven Gründen zu zahlen ist, beläuft sich bei dem Vertrag zur Arbeitsförderung auf 33 Tage für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit. Bei einem allgemeinen, unbefristeten Arbeitsvertrag würden dem Arbeitnehmer 45 Tage zustehen.
Kündigung aus objektiven Gründen
Wirtschaftliche Gründe
Eine Entlassung, die auf wirtschaftlichen Gründen basiert, fand bisher in der Praxis selten Anwendung, da aufgrund der ungenauen Formulierung des Gesetzestextes die Rechtmäßigkeit der Kündigung oft von der Entscheidung eines Richters abhing. Die Reform hat versucht, diese Ungenauigkeit zu beheben. Seit der Einführung des Gesetzes kann der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer aufgrund wirtschaftlicher Gründe kündigen, wenn sich das Gesellschaftsergebnis negativ darstellt. Davon ist bespielsweise auszugehen, wenn gegenwärtig Verluste bestehen bzw. diese vorhersehbar sind oder wenn der Gewinn in dem Maβe sinkt, dass der Fortbestand der Gesellschaft gefährdet ist. Diese wirtschaftliche Situation muss vor dem entsprechenden Richter nachgewiesen werden, was zur Folge hat, dass die Bewertung dieser Situation weiterhin von der Entscheidung eines Richters abhängt. Diesbezüglich hat der oberste spanische Gerichtshof über die Jahre hinweg festgelegt, dass die schlechte wirtschaftliche Situation des Arbeitgebers weder irreversibel sein muss, um eine Kündigung zu begründen, noch muss diese Kündigung allein ausreichen, um die wirtschaftliche Situation abzuwenden. Es genügt, wenn diese Maßnahme einen direkten und angemessenen Einfluss auf die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation hat.
Technische, organisatorische oder produktive Gründe
Diesbezüglich hat das Gesetz einen neuen Rahmen geschaffen, der Kündigungen aus dem Grund ermöglicht, um eine negative Entwicklung der Gesellschaft vorzubeugen. Hiermit wird die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes im Gesetzestext berücksichtigt, die bereits die Möglichkeit vorsah, Arbeitsplätze zu kürzen, wenn dadurch die Wettbewerbsfähigkeit der Gesellschaft verbessert würde. Es handelt sich mithin um eine präventive Maßnahme, in welche eine schlechte wirtschaftliche Lage der Gesellschaft nicht zwingend für den Abbau von Arbeitsplätzen ist. Jedoch besteht die Pflicht, die im Kündigungsschreiben angegebenen Kündigungsgründe vor einem Gericht nachzuweisen. Das Gericht hat das letzte Wort bezüglich der Angemessenheit dieser Gründe, so dass die ursprüngliche Problematik der gesetzlichen Ungenauigkeit der Kündigungsgründe weiterhin besteht.
Bei der Kündigung aus objektiven Gründen, sowohl aus wirtschaftlichen als auch aus technischen, organisatorischen oder produktiven Gründen, wird die Kündigungsfrist von 30 auf 15 Tage reduziert. Damit verringern sich auch die Kosten für den Arbeitgeber im Falle einer solchen Kündigung.
Eine wesentliche Änderung, die bereits mit dem Königlichen Dekret 10/2010 eingeführt wurde, ist die Übernahme eines Teils der Entschädigung seitens des Fondo de Garantía Salarial (FOGASA; staatlicher Lohngarantiefond). Diese erfolgt jedoch nur bei unbefristeten Verträgen, die nach dem 18. Juni 2010 geschlossen wurden und mindestens für ein Jahr Bestand haben. Sollte das Arbeitsverhältnis aus objektiven Gründen gekündigt werden, übernimmt der FOGASA acht Tage der Entschädigung. Die Zahlung folgt dabei nicht an den Arbeitnehmer, sondern an den Arbeitgeber und entspricht in der Summe den acht Tagen. Um die Richtigkeit der Höhe der Zahlung zu gewährleisten, muss der Arbeitgeber den Tageslohn im Kündigungsschreiben anführen, da dieser die Berechnungsgrundlage für die Entschädigung darstellt.
Änderung der Arbeitsbedingungen
Hinsichtlich der geografischen Mobilität wurde eine Änderung der Fristen eingeführt. Seit in Kraft treten des Königlichen Dekrets 10/2010 ist die Entscheidungsfrist von 15 Tagen nicht mehr verlängerbar. Bis zu diesem Zeitpunkt musste diese Frist mindestens 15 Tage betragen.
Was die Änderung der wesentlichen Arbeitsbedingungen angeht (Arbeitszeit, Vergütung, Schichten, etc.), wird durch diese Reform ein ausdrücklicher Hinweis auf die Änderung der Arbeitszeiteinteilung eingefügt. Dieser geht über die bloße Arbeitszeit hinaus und bezieht sich auf die Arbeitseinteilung über längere Zeiträume.
Hierzu besteht ein spezifisches Verfahren in Artikel 41.4 des Arbeitnehmerstatuts, was jedoch nur dann anwendbar ist, wenn der Tarifvertrag kein spezifisches Verfahren enthält. Dieser ausdrückliche Hinweis auf den Tarifvertrag ist eine der Neuerungen, die durch Arbeitsmarktreform eingeführt wurde.
Nicht-Anwendung von Tarifverträgen
Die Reform versucht zudem die Nicht-Anwendung von Tarifverträgen in bestimmten Fällen zu ermöglichen. Der sogenannte descuelgue ermöglicht Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Einigung abseits vom Tarifvertrag zu finden. Es muss jedoch zwischen Branchen- und Gesellschaftstarifvertrag unterschieden werden. Ersterer sieht nur die Möglichkeit vor, die Arbeitszeiten sowie die Schichtenarbeits-, Vergütungs- und Arbeitsleistungssysteme durch eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu modifizieren. Diese Vereinbarung muss dem Ausschuss des Tarifvertrages mitgeteilt werden. Auβerdem darf die Laufzeit dieser Vereinbarung nicht über die Laufzeit des Tarifvertrages hinausgehen. Aus der Sonderstellung von Branchentarifverträgen ist zu schlieβen, dass durch die Einigung zwischen den Parteien jede Arbeitsbedingung der Gesellschaftstarifverträge verändert werden kann, und zwar ohne dass diese Einigung eine bestimmte Laufzeit haben muss.
Insbesondere wird auch der sogenannte descuelgue salarial (Nicht-Anwendung der Vergütungstabellen des Tarifvertrages mit Geltungsbereich über der Gesellschaft hinaus [z.B. Branchentarifverträge]) behandelt. Hier wurde eine Vereinfachung vorgenommen, indem das neue Gesetz die Möglichkeit vorsieht, diese Nicht-Anwendung auch dann zu vereinbaren, wenn die wirtschaftliche Situation oder Perspektive der Gesellschaft geschädigt wurde, wenn das im Tarifvertrag vorgesehene Vergütungssystem angewendet wird und dieses auf die Aufrechterhaltung von Arbeitsplätzen negative Auswirkungen haben könnte. Ist eine Einigung erzielt worden, wird angenommen, dass die Gründe für den descuelgue salarial vorliegen. Diese Vereinbarung kann dann nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen angefochten werden.
In allen Fällen muss die Vereinbarung die genaue Vergütung an die Arbeitnehmer sowie ein Strategie vorsehen, die es ermöglicht, die ursprünglichen Vergütungsbedingungen wiederzuerlangen, wenn die Gründe für den descuelgue nicht mehr bestehen.
Die Vereinbarung der Nicht-Anwendung des Tarifvertrages kann nicht über dessen Laufzeit hinausgehen und darf unter keinen Umständen mehr als drei Jahre gültig bleiben.
Die Kurzarbeit – das sogenannte deutsche Model
Eine der wichtigsten Reformen ist die Einführung der Kurzarbeit oder, wie es in Spanien genannt wird, des deutschen Models. Im Grunde war die Möglichkeit der Reduzierung der Arbeitszeit schon vor der Reform möglich, jedoch konnte man nicht gleichzeitig Arbeitslosengeld beziehen, um den geringeren Lohn auszugleichen.
Die Reform beinhaltet eine Änderung des Sozialversicherungsgesetzes, welche es dem Arbeitnehmer ermöglicht, dessen Arbeitszeit im Rahmen eines ERE (Expediente de Regulación de Empleo; Verfahren zur Regulierung von Arbeitsplätzen) um 10 % bis 70 % zu mindern. Damit einher geht jedoch eine entsprechende Reduzierung der Vergütung. Dem Arbeitnehmer wird so ermöglicht, sich als teilzeitarbeitslos berücksichtigen zu lassen und dadurch den Verlust seiner Vergütung auszugleichen.
Außerdem werden besondere Anreize für die Arbeitgeber, die sich für dieses Model entscheiden, geschaffen, wie zum Beispiel eine Vergütung der Gesellschaftsbeiträge an der Sozialversicherung um 50%.
Das österreichische Model – Fondo de Capitalización
Abschließend ist noch zu erwähnen, dass in Spanien die Einführung eines sogenannten Fondo de Capitalización bereits vielfach in Erwägung gezogen wurde. Dieser soll dem österreichischen Model nachempfunden werden und entspräche der Einrichtung eines Fonds für jeden Arbeitnehmer. Ein solcher Fond würde sich wie ein Sparplan während der Jahre, in denen der Arbeitnehmer beruflich tätig ist, durch die Einzahlung von Beiträgen vergrößern. Das Ziel des Fonds ist es, dass der Arbeitnehmer beim Wechsel seiner Arbeitsstelle die Fondeinzahlungen nicht verliert und so bei dem Verlust seiner Arbeitsstelle, bei einer Versetzung, einer Fortbildungsveranstaltungen oder bei Renteneintritt auf seine Ersparnisse zurückgreifen kann, sofern sein persönlicher Fond in diesem Moment eine positive Bilanz aufweist. Allerdings soll er nicht durch steigende Beiträge für Unternehmen finanziert werden. Daraus lässt sich vermuten, dass die Finanzierung durch Beiträge oder Teilbeiträge, die derzeit in FOGASA eingezahlt werden, sichergestellt würde oder aber, dass die Beiträge zu gleichen Teilen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern geleistet werden müssten.
Der Gesetzeserlass hat festgelegt, dass bis zum 1. Januar 2012 die Fragen zu klären sind und eine endgültige Konstituierung des Fonds zu erfolgen hat.
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